Die Apotheke des Wildes 

 

Wildtiere haben sich seit jeher bei Erkrankungen zu helfen gewusst. Die urzeitlichen Menschen beobachteten die Tiere und gelangten so zu einem Wissen um Heilmittel, die sie sich zu Nutze machen konnten. Die Beobachtungsgabe unserer Vorfahren führte letztlich zu unserer modernen Nutzung von Arzneimitteln. Der Bezug zur Tierwelt ist aber heute noch erhalten. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Gänseblümchen oder der Wiesenbärenklau.

Wildtiere sind auch heute noch auf sich selbst gestellt, wenn es um ihre Gesundheit geht. Man hört Wildtiere, die erkrankt sind, nicht klagen. Dies bedeutet aber nicht, dass sie keine Schmerzen haben. Oft sitzen sie todkrank in ihrem Lager und sehen gesund aus. Dieses Verhalten ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass sie sich auf diese Weise vor Fressfeinden schützen. Welche Leiden können sie selbst behandeln? Die vordringlichen Probleme bei Wildtieren sind Parasiten. Ein gewisses Maß an Besiedelung äußerlich und innerlich ist normal. Erst wenn dieses Maß überschritten wird, müssen Schritte ergriffen werden. Um die Brut zu schützen, kleiden einige Vögel ihre Nester mit Pflanzenteilen aus, die Läuse, Milben und Co. abschrecken. Beliebt ist dafür die „Vogelnestwurz“ oder Wilde Möhre, um nur eine der verwendeten Pflanzen zu nennen. 

Um die Lästlinge im Fell oder Federkleid loszuwerden, gehen einige Tiere auch andere Wege. Sie lassen sich von Ameisen behandeln. Dies kennt man vom Dachs und Vögeln, die ein regelrechtes Bad im Ameisenhaufen nehmen. Dabei geben die erbosten Ameisen Ameisensäure als Abwehrmittel ab. Letztere schädigt die Milben und Co. in Fell und Gefieder nachhaltig. Sauen und Rotwild z.B., bedienen sich eines Schlammbades in der Suhle, um ihre Parasiten aus der Decke zu bekommen. Dachse polstern ihre Wurfhöhlen ebenfalls mit Pflanzen aus, die für Parasiten unangenehm sind.

Gegen Magen-/Darmparasiten hilft Wurmfarn. Auch Fichten- und Tannenzweige werden von einigen ökologisch wirtschaftenden Bauern eingesetzt. Bedingt wirksam sind Pflanzen mit besonders hohen Gerbstoffgehalten wie die Esparsette.

Bei Magen-/Darmbeschwerden hilft sich Rotwild beispielsweise durch das Schälen von Ulmen. Dies geschieht oft im Laufe des März. Dies ist, bzw. war, die Sammelzeit der Rinde für die Tiermedizin. Heute bezieht man Ulmenrindenprodukte für Haustiere meist aus dem Ausland, z.B. Amerika. 

Rindenschäle muss nicht immer aus Nahrungsmangel erfolgen. Möglicherweise ist auch der Bedarf an bestimmten (Mineral-)Stoffen in der Rinde der entscheidende Faktor. Dieser unterscheidet sich von Baum zu Baum.

Beeindruckend ist die Fähigkeit von Tieren, Pflanzen nach den Konzentrationsgehalten ihrer Wirkstoffe so zu wählen, dass die Dosis angepasst ist.

Nicht immer ist das, was Tiere fressen auch gut. Zwar ist bekannt, dass die Ernährung von Pflanzenfressern stets auch bestimmte Mengen an Heilpflanzen enthält, doch sind auch Vergiftungen möglich. Bekannt ist bei Rehen die Notwendigkeit, Lehm oder Erde aufzunehmen Ein Effekt von feiner Erde oder Lehm ist die Fähigkeit, Giftstoffe zu binden und somit unschädlich zu machen. Bei Übersäuerung des Pansens kann Lehm puffernd wirken. Zusätzlich können auch Mineralstoffe und Spurenelemente aufgenommen werden. Lehm, der besonders fein ist, ist in der Lage eine Art Schutzfilm über die Verdauungsorgane zu legen und so Parasiten das Dasein zu erschweren.

Bei Schmerzen und Entzündungen helfen, nach menschlichen Erkenntnissen, Weide und Pestwurz. Weidenrinde wird gerne von Rotwild geschält und enthält das Ausgangsprodukt für die Salicylsäure, die die im Körper gebildet wird.

Hirtentäschel ist eine altbekannte Heilpflanze, die auch gerne von Pflanzenfressern genutzt wird. Sie wirkt blutstillend.

Offene Wunden werden von Tieren intensiv geleckt. So wird das Eindringen von Keimen reduziert. Der Speichel wirkt dabei desinfizierend. Gerne suchen verwundete Tiere kühlendes Wasser auf. Auch Suhlen und Moorwässer sind Orte, an denen sie sich Linderung verschaffen. Das Reiben von verwundeten Stellen an Harz ist ebenfalls beobachtet worden. Harze wirken desinfizierend und können die Infektionsgefahr durch Keime einschränken.

Woher wissen die jungen Tiere, was sie in welcher Situation tun müssen? Man geht davon aus, dass dieses „Wissen“ von den Elterntieren an die Jungen weitergegeben wird. Also viel zu lernen vom Nachwuchs in der kurzen Zeit bis zum Selbstständig werden. 

Dieter Immekus

Obmann für Naturschutz im KJV Lindau e.V.